28.11.2019

Am 12. November 2019 wurde in der OeKB unter dem Titel "OeKB im Gespräch – Ist die globalisierte Welt zu retten?" diskutiert, wie Wirtschaftswachstum, Freihandel und Klimapolitik auf unserem begrenzten Planeten zusammenspielen können.

Am Podium

  • Mathias Binswanger, Schweizer Professor für Volkswirtschaftslehre und Autor des Buches "Warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben.“

  • Beate Littig, Leiterin Fachbereich Soziologie, IHS - Institut für Höhere Studien, Wien

  • Karl Steininger, Institut für Volkswirtschaftslehre, Universität Graz

Moderation: Agnes Streissler-Führer, stv. Bundesgeschäftsführerin, GPA-djp Gewerkschaft der Privatangestellten

Die wichtigsten Fragen und Antworten der Diskussion

v.l.n.r.: Beate Littig, Karl Steininger, Mathias Binswanger, Agnes Streissler-Führer
Prof. Mathias Binswanger

Wir könnten doch sagen: "Hören wir einfach auf zu wachsen und bleiben wir, wo wir sind ...“

"Das funktioniert in einer kapitalistisch, also von Geld geprägten, Wirtschaft nicht. Schauen wir uns als Beispiel Griechenland an: Während der Finanzkrise ist hier die Wirtschaft von 2008 bis 2013 fünf Jahre lang hintereinander geschrumpft. Es wurde nicht mehr investiert, die Arbeitslosigkeit lag bei fast 30 Prozent, ein Drittel aller Unternehmen war plötzlich vom Markt verschwunden. Der Staat hätte in dieser Situation eingreifen sollen, durfte es jedoch aufgrund des verordneten Sparkurses nicht. Das Ergebnis war bzw. ist eine dramatische Situation im Land.“ Mathias Binswanger


 

Wie weit kann die Wirtschaft wachsen – gibt es eine absolute Grenze?

"Ich vergleiche das gerne mit der Höhe von Gebäuden. Im Jahr 1899 war das Park Row Building in New York mit 119 Metern der höchste Wolkenkratzer der Welt. Heute ist der Burj Khalifa in Dubai mit 828 Metern das höchste Gebäude. Auf Wachstum umgelegt, bedeutet das eine Zunahme von 1,8 Prozent pro Jahr. Würde die Wirtschaft in dieser Größenordnung wachsen, würden wir im Jahr 2100 bei einer Gebäudehöhe von 4,5 Kilometern anlangen. Schwer vorstellbar oder? Jedenfalls wird uns bei diesem Gedanken ziemlich unwohl.“ Mathias Binswanger

Dr. Beate Littig

Wie sollen wir mit Wachstum umgehen?

"Ich halte es für höchst riskant, derart von Wirtschaftswachstum abhängig zu sein. Allerdings darf man das Kind nicht mit dem Bad ausschütten und muss Wachstum differenziert betrachten. Grundsätzlich hängen an der Wirtschaft nicht nur Arbeitsplätze, sondern die gesamte, sehr komplexe Frage der Umverteilung und weitreichende soziale Themen. Fest steht, dass es trotz Anstrengungen bisher nicht gelungen ist, unseren Ressourcenverbrauch zu reduzieren, Ungleichheit zu verändern und hohe volkswirtschaftliche Kosten aufgrund externer Effekte – Stichwort Umweltschäden und Klimakrise – zu reduzieren bzw. zu vermeiden. Dem gegenüber würde man sich in Bereichen wie Pflege und Bildung durchaus ein deutliches Wachstum wünschen.“ Beate Littig

 

Müssen wir im Bereich Umweltschutz noch mehr Aufklärung und Bewusstsein fördern?

"Das Umweltbewusstsein ist in allen gesellschaftlichen Schichten schon relativ stark ausgeprägt. Der Punkt ist aber, dass wir uns nicht unbedingt entsprechend unserem Bewusstsein und Wissen verhalten. Verhalten wird durch sehr viele verschiedene Faktoren beeinflusst. Verhaltensveränderungen passieren vor allem dann, wenn es biografische Brüche gibt – wenn Kinder zur Welt kommen, wenn wir krank werden. Da ändern wir unser Verhalten. Es hat aber auch viel mit Gelegenheiten zu tun, Dinge anders zu tun und zu experimentieren. Da lernen wir auch Vorurteile abzubauen. Dann kommt zum Beispiel der Autobus in den Außenbezirken tatsächlich doch schon alle zehn Minuten und nicht nur – wie von den autofahrenden Nachbarn gehört – alle halben Stunden oder Stunden.“ Beate Littig

Prof. Karl Steininger

Welchen Beitrag kann die Politik für sozial gerechtes ökologisches Handeln leisten?

"Von einer Verbesserung der Umweltqualität profitieren primär die ärmeren Gesellschaftsschichten, weil sie sich weniger gegen negative Umweltauswirkungen schützen können. Für einen gerechten Weg dorthin sollte in der Politik geprüft werden, ob in den Grundfunktionen, die wir über die Wirtschaft bereitstellen – wie Wohnen, Mobilität, Ernährung – insgesamt Verbesserungen möglich sind, wie zum Beispiel bei einer Bepreisung von Treibhausgasen in der Entscheidung über die Einnahmen daraus. Für eine sozial gerechte Gestaltung sollten diese für die Senkung bestehender Steuern verwendet werden oder könnten, nach dem Vorbild des Klimabonus in der Schweiz, pro Kopf rückverteilt werden. Für die Wohnbevölkerung am Land wäre eine Mobilitätsgarantie hilfreich. Zudem wäre die Pendlerpauschale in Richtung Ökologisierung weiterzuentwickeln.“ Karl Steininger

Wie lassen sich die Modellansätze der Ökonomen veränden?

"Unsere Zunft legt seit den Erfahrungen der Finanzkrise 2008 durchaus mehr Demut an den Tag, und wir sind in der Lehre pluraler geworden. Eine wichtige Maßnahme auf jeder Ebene wäre, Experimentierräume zu schaffen und Gelegenheiten, Dinge anders anzugehen. Auf politischer Ebene wäre eine Änderung dahingehend erforderlich, dass es einen gesamtheitlichen Ansatz braucht. Nachhaltiges Wirtschaften und Klimaschutz sind nicht bloß Sache des Umweltministers oder der Umweltministerin, sondern der gesamten Regierung.“ Karl Steininger

Video-Statements

Finden Sie die Sichtweisen der Teilnehmenden des Podiums in einem Statement-Video zusammengefasst.

 

 

 

 

Eine Zusammenfassung von Prof. Binswangers Keynote bei der Veranstaltung finden Sie hier: