28.02.2018

Kasachstan – Dank riesiger Rohstoffreserven und wirtschaftlicher Reformen hat sich das neuntgrößte Land der Welt zur modernen Volkswirtschaft gewandelt. Nur bei der Demokratie läuft noch nicht alles nach Plan.

Kasachstan war Ausrichter der EXPO 2017

Von Juni bis September 2017 war Kasachstan für drei Monate der Mittelpunkt der Welt. Zumindest auf der EXPO in Astana: Die Hallen der Weltausstellung waren rund um den kasachischen Pavillon „Nur Alem“ angeordnet, eine futuristisch wirkende Kugel aus Glas und Metall. Sie entstand auch mit österreichischem Know-how: Ertex Solar stattete die Sphäre mit 380 maßgeschneiderten Solarelementen aus und das Büro Evolute berechnete die komplexe Fassade.

Mit der EXPO will Kasachstan seinem großen Ziel einen Schritt näherkommen: Bis 2050 soll das Land zu den 30 führenden Volkswirtschaften der Welt gehören, so der ehrgeizige Plan des Präsidenten Nursultan Nasarbajew, der das Land seit Sowjetzeiten regiert. Um das zu erreichen, muss die Wirtschaft kräftig modernisiert werden und neue Standbeine suchen: Derzeit machen fossile Rohstoffe rund 80 Prozent der Exporterlöse aus. Nicht zuletzt deshalb wurde „Future Energy“ zum Leitthema der EXPO erkoren.

„Enormer Investitionsbedarf“

Auch Österreich präsentierte sich aufwändig und organisierte zahlreiche Veranstaltungen wie einen „Sustainable Energy Day“. Für Richard Schenz, Vizepräsident der Wirtschaftskammer, Regierungskommissär der EXPO 2017 und Präsident der Österreichisch-Kasachischen Gesellschaft, galt es, „nicht nur die Kompetenz der österreichischen Exporteure zum Leitthema ‚Future Energy’ zu präsentieren, sondern auch unsere Firmen mit Unternehmen und Entscheidungsträgern dieser aufstrebenden Region zu vernetzen.“ Schließlich gebe es dort viel Potenzial für Österreichs Exporteure: „In Kasachstan besteht vor allem im wichtigen Bereich der Future Energy Technologies ein enormer Entwicklungs- und Investitionsbedarf. Aber auch die Modernisierung der traditionellen Stärken des Landes – Petrochemie, Bergbau und Maschinenbau – bietet interessante Geschäftsmöglichkeiten.“

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+ Aufschwung
+ Modernisierungen
+ Zollunion mit Russland
+ große Rohstoffreserven
+ Hub für Region
- Probleme im Bankensektor
- Abhängig von Rohstoffpreisen
- große innerstaatliche Distanzen
- hohe Verstaatlichung der Unternehmen
- Aufholbedarf bei Bildung

Tausche Öl gegen Medikamente

Das Handelsvolumen zwischen Kasachstan und Österreich ist mit rund 900 Millionen Euro pro Jahr beträchtlich, allerdings auch relativ eintönig: Kasachstan liefert fast ausschließlich Öl, Österreich vor allem Pharmazeutika sowie Maschinen und Anlagen. Große Infrastrukturaufträge konnten österreichische Unternehmen nicht an Land ziehen, berichtet Michael Müller, der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Almaty, der größten Stadt Kasachstans: „Westliche Player tun sich da aus Kostengründen schwer. Ein nach türkischen oder chinesischen Standards gebautes Business-Center ist schon so viel besser als das alte Sowjethaus – das reicht hier vollkommen aus. Wir können vor allem mit einzigartigen Produkten punkten.“

Rund 50 österreichische Unternehmen betreiben Niederlassungen im Land, allerdings vor allem Vertriebsbüros. „Die Investments sind überschaubar – abseits der OMV mit mehr als einer Milliarde Euro“, meint Müller. Chancen gebe es prinzipiell in vielen Sektoren, wenn der Einsatz passt: „Ich würde hier keine Roboter fertigen, sondern auf einfachere Dinge setzen – zum Beispiel Lebensmittelverarbeitung.“ Wichtig sei auch, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten: „Wenn ich Fruchtsaft 5.000 Kilometer herschippere, wird er nicht kompetitiv sein.“

Erfolgsrezept: Ressourcen & Reformen

Auch wenn Nasarbajews Vision für 2050 hochgesteckt ist – unerreichbar ist sie nicht. Er, der noch im kommunistischen System an die Macht gelangt ist, hat das Land geöffnet und ins neue Jahrtausend geführt. „Kasachstan hat schon in den 90er Jahren viele Studenten ins Ausland gesendet“, sagt Müller. „Die haben dort das westliche Wirtschaftssystem verstehen gelernt und auch hier gute Unternehmen aufgebaut.“

Dass Kasachstan von allen zentralasiatischen Ex-Sowjetstaaten wirtschaftlich am besten dasteht, ist nicht nur der gelungenen Öffnung zu verdanken, sondern auch dem Rohstoffreichtum. Kasachstan hat gigantische Ölreserven, das größte Ölfeld, mitten im Kaspischen Meer, wird seit heuer angezapft, beträchtliche Gasvorräte und allerlei Erze. Bei Uran ist das Land Weltmarktführer.

Privatisierung, aber mit Handbremse

Die Privatisierung der Wirtschaft ist aber noch lange nicht abgeschlossen, berichtet Müller: „Mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung wird von staatsnahen Unternehmen erbracht.“ Die Regierung möchte das aber reduzieren, es läuft ein Privatisierungsprogramm für 600 Unternehmen. „Ein bisschen Skepsis, wie schnell das gehen wird, ist angebracht – aber die Marschrichtung stimmt“, hält Müller fest.

Neben dem Öl- und Gasbusiness verfügt Kasachstan auch über eine ansehnliche Bergbau- und Metallbranche. In der Landwirtschaft wird vor allem Weizen im großen Stil produziert, das Land zählt zu den größten Mehlexporteuren der Welt. Erwähnenswert ist auch die relativ entwickelte Bankenlandschaft, die allerdings unter vielen faulen Krediten leidet. In allen Branchen dominieren Großunternehmen die Wirtschaft, der KMU-Anteil ist gering.

Kasachstan in Zahlen*

Wussten Sie dass, …

  • 18 Mio. Einwohner
  • Human Development Index: Rang 56 (von 188)
  • Geburtenrate: 2,73 Kinder/Frau
  • Lebenserwartung: 72 Jahre
  • BIP-Wachstum 2016: 4,6 %
  • BIP absolut 150 Mrd. US-$
  • BIP pro Kopf:  8.300 US-$
  • Inflation: 8 %
  • Exporte: 45 Mrd. US-$
  • Importe: 30 Mrd. US-$
  • … vergorene Stutenmilch Kasachstans Nationalgetränk ist?
  • … Kasachstan bis 2025 von kyrillischer auf lateinische Schrift wechseln will?
  • … der Balchaschsee zur Hälfte aus Süß- und zur Hälfte aus Salzwasser besteht?
  • … man auf dem Flug von Wien nach Almaty schon ab der halben Strecke über kasachisches Gebiet fliegt?
  • … der Name der Hauptstadt, Astana, übersetzt „Hauptstadt“ bedeutet?

Zu viel Fläche

Am weitesten ist die wirtschaftliche Entwicklung rund um die alte und neue Hauptstadt fortgeschritten, berichtet der Wirtschaftsdelegierte Müller: „Almaty und Astana haben ein anderes Level als alle anderen Landesteile.“ Flächendeckende moderne Infrastruktur scheitert schon an den riesigen Distanzen, die es zu überwinden gilt. Von der Stadt Aqtau am Kaspischen Meer nach Almaty sind es mehr als 2.000 Kilometer – Luftlinie. Dazwischen liegen vor allem flache Wüsten und Steppen. Nur die Grenzregionen im Süden und Osten sind von hohen Gebirgen (bis zu 7000 Meter) geprägt. „Wenn schon Österreich sich für den Bau von Autobahnen auf Generationen verschulden muss, wie soll das Kasachstan schaffen?“, fragt Müller.

Die medizinische Versorgung ist gut – wenn man in der Stadt lebt und Geld hat. Abseits davon besteht aber großer Nachholbedarf. Ähnliches gilt für die Bildung. „Es gibt einige exzellente Leute und eine ambitionierte Elite-Universität“, berichtet Michael Müller, „aber je weiter man in die Breite geht, desto abenteuerlicher wird es.“ Vor allem die Englischkenntnisse ließen zu wünschen übrig. Dem will die Regierung künftig mit dreisprachigem Schulunterricht begegnen.

Während Kasachisch die Landessprache ist, dominiert im Geschäftsleben nach wie vor Russisch. Rund ein Viertel der Bevölkerung sind ethnische Russen, der Rest Kasachen und mit ihnen verwandte Turkvölker. Die Ethnien kommen relativ konfliktfrei miteinander aus – auch das ist zu einem guten Teil Nursultan Nasarbajew zu verdanken, der in beiden ethnischen Gruppen hohen Respekt und Autorität genießt.

Autoritärer Herrscher

Respekt und Autorität nimmt sich der Präsident allerdings auch selbst heraus: In Sachen Demokratie gibt es seit der Unabhängigkeit kaum Fortschritte. „Zwar ist hier das Internet kaum eingeschränkt und die Presse kann Regierungsprogramme relativ harsch kritisieren“, meint Michael Müller. „Aber Wahlen sind ein anderes Thema – und auch Kritik an der Präsidentenfamilie ist tabu.“ Im Vorjahr wurden beispielsweise Organisatoren einer friedlicher Demonstrationen verurteilt und ins Arbeitslager gesteckt.

Die Frage nach dem Danach

Nasarbajew ist mittlerweile 77 Jahre alt, was die Nachfolgefrage aufwirft. Er selbst gibt an, das Amt nicht in der Familie vererben zu wollen. Einige Befugnisse des Präsidenten könnten auf das Parlament übertragen werden. Im benachbarten Usbekistan gelang nach dem Tod des Langzeitpräsidenten Karimov eine friedliche Machtübergabe an den vormaligen Premier statt. „Kasachstan ist mit seinen Institutionen so weit gereift, dass auch hier ein halbwegs geordneter Übergang schaffbar sein sollte“, schätzt Müller ein.
 

  Geschichte kurzgefasst: Im Reich der Nomaden

Kasachstan war Jahrtausende lang ein Land der Nomaden: Einst lebten hier altiranische Stämme, ehe im 7. Jahrhundert Turkvölker aus dem nordöstlich gelegenen Altai kamen. Ab dem 13. Jahrhundert übernahmen Mongolen die Herrschaft, aber auch unter ihnen gab es kaum staatliche Ordnung und keine festen Grenzen. Im 16. Jahrhundert entstand das „Kasachen-Khanat“, zweihundert Jahre später unterstellte es sich freiwillig der Protektion des russischen Zarenreichs. Russen gründeten im 19. Jahrhundert Städte, die Unterwerfung nahm zu. Die Sowjets zwangen die Kasachen zur Sesshaftmachung und Kollektivierung – Anfang der 1930er Jahre verhungerte deshalb ein Drittel der Bevölkerung. Später brachte die UdSSR Kasachstan aber einen Entwicklungsschub. 1990 wurde Nursultan Nasarbajew Präsident der Kasachischen Sowjetrepublik, die ein Jahr später unabhängig wurde. Bis heute steht er an der Spitze des Staates.

 

*Quelle: WKO, Weltbank (Zahlen für 2015-17)