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28.11.2019

Lesen Sie hier die wichtigsten Aussagen der Keynote von Mathias Binswanger, Schweizer Professor für Volkswirtschaftslehre, bei der Podiumsdiskussion „OeKB im Gespräch – Ist die globalisierte Welt zu retten am 12. November 2019.

Warum die Wirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben

Wachstum in der Wirtschaft ist ein relativ neues Phänomen, das uns die Industrielle Revolution im 19. Jahrhundert beschert hat. Mit der Industriellen Revolution ist Kapital zum wichtigsten Produktionsfaktor geworden. Gemeinsam mit dem technischen Fortschritt ist das moderne Wirtschaftswachstum in Gang gekommen, unterstützt von einem modernen Bankensystem, das Geld – quasi aus dem Nichts – schafft und Kredite zum Vorfinanzieren von Investitionen vergibt.

Dieses System lässt die Weltwirtschaft seit dem zweiten Weltkrieg – mit Ausnahme des Jahres 2009, in dem sich die Folgen der globalen Finanzkrise zeigten – zwischen zwei und vier Prozent p.a. wachsen. Dieses Wachstum hat uns über viele Jahrzehnte glücklich gemacht. Es war für uns die Chance, unser Leben zu verbessern.

Prof. Ewald Nowotny

Der "Zwang zum Wachstum“

Dieses Gefühl ist seit geraumer Zeit gespalten. Wir sind – trotz materiellem Wohlstand in den westlichen industrialisierten Ländern und damit auch in Österreich – nicht glücklicher geworden. Wir beschweren uns über den "Zwang zum (schnellen) Wachstum“ und sorgen uns über die Umweltschäden und die Klimakrise, zu der das Dauerwachstum geführt hat. Gleichzeitig tun wir aber unverändert alles, damit die Wirtschaft weiterwächst.

Wir strengen uns an, das zu produzieren, was sich die Konsumentinnen und Konsumenten – angeblich – wünschen. Dank dem rasanten technologischen Fortschritt entwickeln wir laufend neue, immer effizientere Produktionsweisen und neue, noch "klügere“ Produkte. Die Unternehmen investieren gerne, weil sie aufgrund dieser gut eingespielten Bedürfnisweckungswirtschaft erwarten dürfen, dass immer mehr konsumiert wird. Sobald dieser Prozess jedoch ins Stocken gerät, also nicht mehr konsumiert wird, wird weniger investiert, haben einige Gruppen in der Wirtschaft weniger Einkommen, steigt die Zahl der Arbeitslosen, die noch weniger konsumieren können, und eine Abwärtsspirale setzt sich in Gang.

Innovation und "Greening“ kein Allheilmittel

Damit unser hochkomplexes, vielfach verflochtenes kapitalistisches Wirtschaftssystem funktioniert und wir uns nicht dauerhaft in einer gefürchteten Abwärtsspirale verfangen, bleibt nur ein Ausweg: Wir müssen tatsächlich immer weiterwachsen. Wenn wir verhindern wollen, dass die Umwelt dadurch geschädigt wird, erfinden wir eben ein "grünes Wachstum“. Wir bemühen uns also, unsere Waren mit einem geringeren Ressourcenverbrauch zu produzieren.

Damit geht die Rechnung allerdings nicht auf. Denn auch mit dem "Greening“ sind wir bemüht, unsere Produkte zu verbessern und noch effizienter zu machen. Das nennen wir dann Innovation, die mit den Mitteln der Digitalisierung in immer kürzerer Taktfrequenz vonstatten geht und zahlreiche neue Chancen für weiteres Wachstum schafft, das den Ressourcenverbrauch erst recht erhöht.

Eine andere Art der Unternehmensverfassung

Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus? Die schlechte Nachricht zuerst: Auf globaler Basis gibt es noch keine funktionierende Alternative. Es gibt Ideen, wie etwa eine verstärkte lokale Produktion, doch diese funktionieren zunächst nur in Nischen und werden häufig aus den Prozessen der traditionellen Wachstumswirtschaft quersubventioniert. Der wesentliche Motor, der das vorantreibt, ist das Konstrukt der Aktiengesellschaft. Wir können nichts Anderes erwarten, solange wir an der Börse notierte Gesellschaften haben, deren Gewinne nicht sinken "dürfen“ und deren Investoren "immer mehr herausholen“ wollen.

Ein Schlüssel zur Lösung – und das ist jetzt die gute Nachricht – liegt in der Änderung unserer Unternehmensverfassungen. Darüber sollten wir uns Gedanken machen. Andernfalls landen wir in einer Verselbstständigung des Wirtschaftssystems, in dem am Ende des Tages Algorithmen miteinander interagieren und wir Menschen nur noch die Zuschauer sind.

 

Zur Person

Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der FH Nordwestschweiz in Olten, Privatdozent an der Universität St. Gallen und Autor des Buches "Der Wachstumszwang. Warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben.“

Anmerkung: Diese Zusammenfassung spiegelt die Meinung von Mathias Binswanger wider und nicht notwendigerweise die der OeKB.